Die Pfalz - ein Auswanderungsland

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von Roland Paul

War die Pfalz nach der großen Entvölkerung während des Dreißigjährigen Krieges und des Pfälzischen Erbfolgekrieges bald zu einem regelrechten Einwanderungsland geworden, so wurde sie schon im 18. Jahrhundert zu einer klassischen Auswanderungsregion.

Schon im Dreißigjährigen Krieg waren Tausende von Bewohnern aus dem pfälzischen Landen geflüchtet.

In den Kirchenbüchern manch weit entlegener Orte kann man daher lesen: "wegen der allzu großen Kriegsnoth aus der Pfaltz hierher geflüchtet". In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts finden wir die ersten Hinweise auf Auswanderungen nach Übersee. Hugenotten und Mennoniten, die erst einige Jahre oder Jahrzehnte in der Pfalz gelebt hatten, waren gewissermaßen die Vorreiter. Abraham Hasbrouck vom Deutschhof bei Bergzabern ließ sich 1675 mit mehreren hugenottischen Familien im Tal des Hudson in der englischen Kolonie New York nieder. Schon 1660 hatte sich sein Bruder, der aus Calais stammende Jean Hasbrouck, nach einem kurzen Aufenthalt in der Kurpfalz, zusammen mit dem aus dem Artois gebürtigen Mannheimer Bürger Mathieu Planchan und dessen Schwiegersohn Louis du Bois (Dubois) in Hurley am Hudson angesiedelt. 1677 kauften Abraham Hasbrouck und andere hugenottische Familien von den Indianern ein großes Land und bauten sich hier eine Siedlung. In Erinnerung an ihre Zwischenheimat, die ihnen als Flüchtlinge Gastfreundschaft gewährt hatte, nannten sie ihre Gründung "New Paltz".

Der englische Quäker William Penn hatte bei seinen Missionsreisen 1671 und 1677 auch kurpfälzische Mennonitengemeinden aufgesucht und für die Besiedlung seiner in Nordamerika gelegenen, von seinem Vater ererbten Privatkolonie geworben. Bei seinen Besuchen in Deutschland hatte Penn den aus dem fränkischen Sommerhausen stammenden Juristen Franz Daniel Pastorius kennengelernt, der von einer "Frankfurter Land Compagnie" beauftragt worden war, von William Penn 25 000 acres Land zu erwerben. Vor seiner Schiffsreise besuchte Pastorius das kurpfälzisch-leiningische Kriegsheim an der Pfrimm, das auch William Penn zuvor aufgesucht und dort das Interesse mehrerer mennonitischer Familien für Amerika geweckt hatte. Pastorius besprach mit den Familien Cassel, Hendricks und Schuhmacher deren Auswanderungspläne, reiste dann über Köln nach Krefeld, wo er mit mehreren Mennoniten- und Quäkerfamilien eine gemeinsame Ansiedlung in der Nähe von Philadelphia besprach. Im Juni 1683 bestieg er in Gravesend das Schiff "America", das Ende August 1683 im Hafen von Philadelphia ankam. Im Oktober 1683 folgten die ersten 13 Familien aus Krefeld, bald danach auch die Familien aus Kriegsheim. Noch im gleichen Jahr legten sie mit Franz Daniel Pastorius in der Nähe Philadelphias die Siedlung Germanopolis an, das spätere Germantown. Das Ortssiegel, ein dreiblättriges Kleeblatt mit der Umschrift "Vinum, Linum und Textrinum" ("Wein, Lein und Webeschrein"), wies auf das Gewerbe der ersten Siedler hin. Germantown erhielt bereits 1691 die Stadtrechte und wählte Pastorius zum Bürgermeister. In den folgenden Jahren erhielt die Siedlung weiteren Zuzug, vor allem aus dem pfälzischen Raum.

Die erste große Massenauswanderung aus der Pfalz nach Nordamerika setzte allerdings erst 1709 ein. Daniel Häberle vergleicht sie in seinem Buch "Auswanderung und Koloniegründung der Pfälzer im 18. Jahrhundert" mit dem "Auszug der Israeliten aus Ägypten". Die Bezeichnung "Pfälzer" oder "Palatine" sollte bald zu einer gängigen Bezeichnung für alle deutschen Auswanderer werden.

Wiederholte Durchmärsche und Plünderungen französischer Heere, in erster Linie aber die wirtschaftlich-soziale Lage,... Der äußerst harte Winter von 1708/09 hatte sich auf die Landwirtschaft und den Weinbau katastrophal ausgewirkt. "Die Felder lagen brach, es fehlte dem Vieh an Futter, dem Acker an Düngung und was man mit Mühe baute, zerstörte das in Übermaß vermehrte Wild, welches eine grausame Gesetzgebung mehr in Schutz nahm als den Fleiß des Landmannes", lesen wir bei Häberle. Der in London weilende deutsche Hofprediger Böhme schrieb 1710 einen großen Teil der Schuld an dieser Auswanderung den deutschen Fürsten zu: "Viele obrigkeitliche Personen treiben solche Pracht und Übermuth, daß die Unterthanen alles, was sie zusammenscharren können, zu ihres Herrn Staat hingeben müssen und daher oft kein Brod im Hause behalten. Und doch lassen sie sich Landesväter nennen, sollte auch kein Spurzeichen einer väterlichen Liebe und gelinden Traktements gegen ihre Landeskinder anzutreffen seyen."

Die bereits in den letzten Jahrzehnten des 17. Jhdts. in der Pfalz verbreitete Schrift von William Penn, zahlreiche weitere Flugschriften, insbesondere die Werbeschriften von Franz Daniel Pastorius und Pfarrer Josua Kocherthal hatten das Interesse für die "Neue Welt" geweckt.

Tausende von Pfälzern zogen 1709 rheinabwärts, um von Rotterdam aus weiter nach England zu gelangen, wo man ihnen eine kostenlose Überfahrt nach Nordamerika versprochen hatte. Ein großer Teil der über 30.000 Auswanderer, die bis Herbst 1709 in England eingetroffen waren, mußte dort monatelang in großen Elendslagern auf Weiterbeförderung warten. Viele von ihnen waren gezwungen, wieder die Rückreise nach Deutschland antreten. Nahezu 4000 Pfälzer wurden in der irischen Grafschaft Limerick angesiedelt, wo sie anfangs "weder zu brocken noch zu beißen hatten", wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt. Manche von ihnen kehrten enttäuscht wieder in ihr Vaterland zurück.

Angesichts der Massenauswanderung aus der Pfalz befürchtete der pfälzische Kurfürst Johann Wilhelm eine "Depopolierung" seines Landes und versuchte den Auswanderungsbestrebungen mit allen Mitteln Einhalt zu gebieten. Bereits im April 1709 erließ er eine Verordnung, die das Auswandern in die "sogenannte Insul Pensylvaniam" verbot. Einen Monat später wurde dieses Verbot wiederholt. Aus "landesherrlicher Fürsorgepflicht" gegenüber den Untertanen und in Anbetracht der Tatsache, daß die "aus hiesigen und umliegenden Landen bereits würklich emigrirte und noch täglich zu emigrieren gesinnte einfältige arme Leuthe, so sich in die sogenanndte Landschaft Pensylvaniam zu begeben willens, zu dieser langwierig-, gefahr- und mühseeliger Reysz vermuthlich daher verleitet worden" und "etliche 1000 an der Zahl vor Rotterdam, auf denen sogenandten Dycken" festsitzen und "aus Ursach, damit diese arme Leuthe ... nicht jämmerlich ertrinken möchten" müsse dem Auswandern Einhalt geboten werden (Heinz, S. 98).
Auch in den folgenden Jahrzehnten haben verschiedene pfälzische Landesherren, vor allem die kurpfälzische Regierung, immer wieder Auswanderungsverbote erlassen, insbesondere in der Regierungszeit des Kurfürsten Carl Theodor. Allerdings vertrat die Regierung zeitweise die Ansicht, daß man "wenigstens die unvermögliche weder dem Publico, noch dem herrschaftlichen Aerario nützliche Unterthanen" ziehen lassen sollte. (Heinz, S. 123)
Viele Verwaltungsbeamte klagten immer wieder über die heimlich erfolgten Auswanderungen, die zahlenmäßig recht bedeutend waren, zumal für jede legale, d.h. mit Erlaubnis der Obrigkeit vorgenommene Auswanderung, die Zahlung verschiedener Gebühren verbunden war, einmal für die Manumission, d.h. die Entlassung aus der Leibeigenschaft, für die im 18. Jhdt. in der Kurpfalz in der Regel der zehnte Teil des Vermögens gezahlt werden mußte. Hinzu kam die sog. Nachsteuer, die grundsätzlich von jedem aus dem Land gehenden Besitztum und Vermögen erhoben wurde sowie die Kanzlei- und Schreibgebühren.

Hauptzielgebiete blieben weiterhin die englischen Kolonien in Nordamerika. Bis 1727 landeten etwa 15 000 "Palatines im Hafen von Philadelphia. Zwischen 1727 und 1775 folgten weitere ca. 70 000 Personen, überwiegend Angehörige des refomrierten und lutherischen Glaubens sowie Mennoniten und Amische. Ganze Teile des Landes Pennsylvanien und das nördliche Maryland besaßen bald "einen gründlich deutschen Charakter", wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt. Die Briten fürchteten schon bald ein Übergewicht des deutschen Elements, so daß Benjamin Franklin schreiben konnte: "Warum sollen wir leiden, daß die Pfälzer Bauernlümmel sich um unsere Ansiedlungen drängen und, indem sie in Rudeln zusammenwohnen, ihre Sprache und Sitten befestigen zum Verderben der unsrigen. Warum soll Pennsylvanien, das von Engländern gegründet wurde, eine Kolonie von Fremdlingen werden, die bald so zahlreich sind, daß sie uns germanisieren, anstatt wir sie englisieren und die ja so wenig unsere Sprache und Gebräuche annehmen wie sie unsere Hautfarbe erlangen können."

In den relativ geschlossenen Siedlungen der Pennsylvaniendeutschen konnte sich auch die Mundart der "Palatines" weitestgehend erhalten. Noch heute ist das mit vielen englischen Ausdrücken vermischte sogenannte "Pennsylvanisch-Deitsch" lebendig.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nahm die Auswanderung aus der Pfalz einen anderen Verlauf. Hauptziel war jetzt nicht mehr Nordamerika, sondern der Osten und Südosten Europas. In Preußen, Österreich-Ungarn und Rußland waren die Landesherren im Zuge ihrer Kolonisationsbestrebungen bemüht, ihr Land stärker zu besiedeln. Sie erließen besondere Ansiedlungspatente, die auch in der Pfalz Verbreitung und Gehör fanden.